Eine Mutter brachte ihre drei Kinder im September 2018 ohne Einwilligung des Vaters nach Tunesien, wo sie 18 Monate blieben. Sie hatte das alleinige Obhutsrecht, während sie die elterliche Sorge mit dem getrennt lebenden Vater teilte. In Tunesien arbeitete die Mutter in einem Callcenter und ließ die Kinder teilweise durch ein Ehepaar betreuen, das sie über Facebook kennengelernt hatte.
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte die Frau wegen mehrfacher qualifizierter Entführung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten. Es begründete dies mit einer Kindeswohlgefährdung durch den abrupten Kontaktabbruch zum Vater, die Fremdbetreuung in einem fremden Land und den illegalen Aufenthalt in Tunesien.
Das Bundesgericht hob diesen Schuldspruch nun auf. Es betonte, dass die Frau als obhutsberechtigte Hauptbezugsperson der Kinder keine Entführung begehen konnte, solange keine massive Verletzung des Kindeswohls vorlag. Da es den Kindern in Tunesien nachweislich gut ging und sie nicht von ihrer engsten Bezugsperson getrennt wurden, sah das Gericht keine eklatante Verletzung ihrer Interessen. Die Einschränkung des väterlichen Besuchsrechts allein reiche für eine Verurteilung wegen Entführung nicht aus.
Die Frau bleibt jedoch wegen Entziehens von Minderjährigen schuldig. Das Obergericht muss nun eine neue, mildere Strafe festsetzen. Das Bundesgericht bestätigte zudem die bereits festgestellte Verletzung des Beschleunigungsgebots, die bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist.